Raum halten oder aushalten – eine Einladung an Eltern
Kennst du das Gefühl, wenn dein Kind traurig ist, wütet oder sich verschließt – und du am liebsten etwas tun würdest, aber nichts hilft?
Wir Eltern stehen oft genau dazwischen: Wir möchten trösten, helfen, reparieren – doch gleichzeitig spüren wir, dass unsere Kinder manchmal einfach etwas durchleben müssen. Und genau hier beginnt ein feiner, aber entscheidender Unterschied:
Halten wir den Raum – oder halten wir nur aus?
Die Geburt als Metapher
Vielleicht hilft dir dieses Bild:
Bei der Geburt ist oft der Mann oder eine andere nahestehende Person dabei. Sie können den Schmerz nicht nehmen, die Wehen nicht stoppen, das Baby nicht zur Welt bringen – und doch sind sie da. Sie halten die Hand, wischen die Stirn, sprechen leise Worte – oder schweigen einfach.
Sie halten den Raum, ohne etwas zu tun. Ihre bloße Präsenz ist ein Geschenk.
Genau diese Qualität brauchen Kinder – nicht nur zur Geburt, sondern ein Leben lang: in Momenten der Überforderung, der Tränen, des inneren Chaos.
Raum halten bedeutet …
- … präsent sein, ohne zu kontrollieren.
- … sich selbst beruhigen, statt das Kind zu beruhigen.
- … da sein, auch wenn man sich hilflos fühlt.
- … Gefühle zulassen, ohne sie zu bewerten oder zu stoppen.
Raum halten ist keine Technik. Es ist eine innere Haltung.
Aushalten dagegen fühlt sich so an:
- Man will, dass es schnell vorbei ist.
- Der eigene Körper wird angespannt.
- Die Gedanken kreisen: „Ich muss etwas tun!“
- Das Kind wird zum „Problem“, das gelöst werden muss.
Und das spüren Kinder. Sie merken, ob wir bei ihnen sind – oder ob wir in unserem Kopf versuchen, sie loszuwerden, zu regulieren, zu fixen.
Warum es so schwer ist
Raum zu halten fordert uns selbst heraus. Es konfrontiert uns mit alten Wunden, mit Ohnmacht, mit der Angst, zu versagen. Vielleicht hat auch niemand für dich je diesen Raum gehalten. Vielleicht hat man dich beruhigt, getröstet oder allein gelassen – aber nicht einfach nur begleitet.
Ein neuer Weg
Was, wenn du heute beginnen darfst, diesen Raum zuerst für dich zu halten?
Atme.
Spüre deine Füße.
Erlaube dir, nichts zu wissen.
Sei einfach da.
Und weißt du was? Auch ich schaffe es nicht immer, den Raum zu halten.
Manchmal bin ich müde, überfordert oder reagiere zuerst aus meinem alten Muster.
Auch das darf sein.
Auch das gehört zum Elternsein – zum Menschsein.
Es geht nicht um Perfektion, sondern um Präsenz. Um ein liebevolles Zurückkommen. Immer wieder.
Du bist genug.
Reflektionsfrage:
Wann hast du zuletzt einfach nur dagesessen und dein Kind gesehen – ohne zu bewerten, ohne zu helfen, ohne etwas zu tun?
Affirmation:
Ich darf einfach da sein. Mein Herz ist genug.